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Spieler, Trainer, Manager: Wer ist Schuld an der Salzburger Krise?

Salzburg-Mittelfeldspieler Mads Bistrup.
Salzburg-Mittelfeldspieler Mads Bistrup.SEVERIN AICHBAUER/APA-PictureDesk/APA-PictureDesk via AFP
In der österreichischen Fußball-Bundesliga sind die Titelhoffnungen von Red Bull Salzburg kaum noch vorhanden. Der einstige Serienmeister steckt in einer handfesten Krise. Vor dem Champions-League-Spiel bei Bayer 04 Leverkusen am Dienstag (21 Uhr/LIVE in der Flashscore-Audioreportage) begibt sich Flashscore News auf Ursachenforschung: Gibt es einen Alleinschuldigen für die RB-Misere?

Eigentlich ist es unglaublich: Red Bull Salzburg hat das mit weitem Abstand größte Budget in der österreichischen Bundesliga, kann auf eines der besten Scouting-Netzwerk weltweit zugreifen, hat nach einer verkorksten Spielzeit 2023/24 einiges wiedergutzumachen. Doch vom Meistertitel sind die Bullen so weit entfernt wie noch nie.

Am Samstag kassierte man im Heimspiel gegen den LASK eine 1:2-Niederlage. In der Liga ist man seit mittlerweile vier Partien sieglos, auf Tabellenführer Sturm Graz hat man bereits 14(!) Punkte Rückstand.

Tabelle österreichische Bundesliga.
Tabelle österreichische Bundesliga.Flashscore

Keine Trainerdebatte

Dennoch hält der Verein konsequent an Trainer Pep Lijnders fest. Sportdirektor Bernhard Seonbuchner stärkte dem Niederländer am Samstag erneut den Rücken. "Über den Trainer brauchen wir nicht zu diskutieren", sagte er im Sky-Interview. Er glaube nicht, "dass der Trainer heute den Ball am Tor vorbeigeschossen hat."

Eine Aussage, die unterstreicht, wie die sportliche Leitung in Salzburg mit der Krise (öffentlich) umgeht. Die Scheinwerfer werden bewusst auf die Spieler gelenkt. Und das hat seine Gründe.

Match-Center: Leverkusen vs. Salzburg

Abschied vom "Jugendwahn"

Bereits Anfang November hatte Stephan Reiter in einem Interview mit den "Salzburger Nachrichten" eine Anpassung der Transferstrategie angekündigt: "Wir müssen uns von diesem Dogma, extrem jung zu sein, ein Stück weit verabschieden und nach und nach Erfahrung in den Kader zuführen."

Der Verein möchte zwar weiterhin intensiv in die Jugendarbeit investieren, wünscht sich aber auch "Ankerspieler" und "Identifikationsfiguren", welche "grundsätzlich die Idee haben, 100 oder 200 Spiele für Red Bull Salzburg zu machen."

Um diese Aussage in einen Kontext zu setzen: Mit einem Altersdurchschnitt von 21,9 Jahren stellt Salzburg den jüngsten Kader in den Top-12-Ligen Europas (laut Fünfjahreswertung). Lediglich Straßburg (Frankreich/22,1) und KRC Genk (Belgien/22,6) bewegen sich in ähnlichen Sphären. Zwei Klubs mit einer deutlich geringeren Erwartungshaltung als in Wals-Siezenheim.

Dass Reiter dem "Jugendwahn" ein Ende setzen möchte, ist nachvollziehbar. Salzburg nimmt im RB-Imperium mittlerweile nur eine untergeordnete Rolle ein, dementsprechend betrachten viele Talente den Verein nur als Sprungbrett.

Zur Preview: Leverkusen vs. Salzburg

Geld allein macht nicht glücklich

Salzburg unterstützte diese Denkweise und freute sich über beispiellose Transfereinnahmen. Seit der Saison 2019/2020 wurden acht Spieler für mindestens 20 Millionen Euro verkauft. Im selben Zeitraum erwirtschaftete man durch Ablösesummen rund 279 Millionen Euro Gewinn.

Doch von diesen Zahlen darf man sich nicht blenden lassen: Die Abgänge müssen laufend kompensiert werden - und zwar so, dass sportliche Erfolge garantiert bleiben.

Die jüngsten Ergebnisse stimmen RB-Fans nicht gerade zuversichtlich.
Die jüngsten Ergebnisse stimmen RB-Fans nicht gerade zuversichtlich.Flashscore

Christoph Freund ist dieser Spagat gelungen. Während seiner Amtszeit als Sportdirektor (Juli 2015 bis August 2023) wurde Salzburg immerzu österreichischer Meister - egal, ob es unerwartete Trainerwechsel oder schmerzhafte Abgänge gab. 

Das Führungsduo Seonbuchner/Reiter konnte diese Erfolgsserie nicht fortführen. Die Kaderplanung in den vergangenen zwei Jahren war riskant - oder, um es etwas deutlicher zu auszudrücken: naiv.

Zu hohe Erwartungen

Rekordspieler Andreas Ulmer beendete im Sommer seine Karriere. Mit dem serbischen Linksverteidiger Aleksa Terzic hat man zwar positionsgetreuen Ersatz gefunden - doch Ulmers Strahlkraft und Routine wird schmerzlich vermisst.

Der Versuch, Torhüter Janis Blaswich als neue Identifikationsfigur zu installieren, ist wenig überraschend misslungen.  Die Entscheidung, einen Leihspieler vom großen Bruder in Leipzig zum neuen Kapitän zu erklären, erhöhte nach einer titellosen Saison die Unruhe im Fanlager.

Zumal Blaswich den gebürtigen Salzburger und österreichischen Nationalspieler Alexander Schlager zunächst auf die Ersatzbank verdrängt hat.     

Voerst hat Schlager seinen Stammplatz sicher.
Voerst hat Schlager seinen Stammplatz sicher.Ina Fassbender/AFP

Den erst 20-jährigen Samson Baidoo zum neuen Abwehrchef zu machen, ist angesichts seiner sportlichen Fähigkeiten nachvollziehbar. Immerhin ist er der beste Passgeber der gesamten Bundesliga und ein gnadenloser Zweikämpfer. 

Doch das Eigengewächs wurde frühzeitig ins kalte Wasser geschmissen - kein Einzelschicksal. 

Ähnlich ist es Stefan Bajcetic (20) ergangen. Der Mittelfeldspieler wird beim FC Liverpool hochgehandelt und durfte schon als 17-Jähriger in der Premier League debütieren. Doch ein Führungsspieler ist der spanische U21-Nationalspieler (noch nicht). Seltsamerweise wirkte er in der österreichischen Bundesliga zumeist überfordert, sein Stammplatz ist vorerst futsch. 

Auch der um über 11 Millionen Euro verpflichtete Bobby Clark (19) wurden den hohen Erwartungen nicht gerecht. In 13 Einsätzen kommt der offensive Mittelfeldspieler nur auf zwei Assists. 

Die Idee, dass Karim Konate (20) in die Fußstapfen von Benjamin Sesko tritt, ist ebenso wenig aufgegangen. Nur zwei Tore hat der Ivorer in dieser Liga-Spielzeit erzielt, seit vier Partien leidet er an einer Ladehemmung. Immerhin ist es seinem Sturmpartner Moussa Yeo (20) zuletzt einigermaßen gelungen, Konates fehlende Treffsicherheit zu kompensieren.

Yeo hat gegen den LASK das einziger Salzburger Tor erzielt.
Yeo hat gegen den LASK das einziger Salzburger Tor erzielt.HANS PETER LOTTERMOSER/APA-PictureDesk/APA-PictureDesk via AFP

Fazit: Es braucht mehr Routine

Dass Stephan Reiter ein Umdenken angekündigt hat, ist aus Salzburger Sicht die einzig richtige Entscheidung. Offen bleibt jedoch, wer für die sportliche Misere verantwortlich ist.

Trainer Lijnders wird von der Vereinsführung aus dem Kreuzfeuer der Kritik genommen, das gilt es zu akzeptieren. Inwiefern die fehlerbehaftete Spielweise auf seine Coaching-Arbeit zurückzuführen ist, kann von außen nur unzureichend bewertet werden - zumindest zum aktuellen Zeitpunkt.

Salzburgs Probleme liegen anderswo: In der misslungenen Kaderplanung. Es wurde in den letzten zwei Jahren ein zu starker Fokus auf das Herausbilden von einzelnen Talenten gelegt - wohl, um diese eines Tages teuer ins Ausland verkaufen zu können.

Sportlicher Erfolg wird jedoch nicht am Transfermarkt, sondern am Spielfeld eingefahren. Und dort leidet RB unter klar ersichtlichen Mängeln. Ein ideenloser Spielaufbau, individuelle Fehler und größer werdende Ratlosigkeit beweisen nicht, dass die Salzburg-Profi keine guten Fußballer sind - sondern lediglich, dass sie Routiniers und Führungsspieler benötigt, die wissen, wie man mit schwierigen Situationen umgeht.

Eine Analyse von Micha Pesseg.
Eine Analyse von Micha Pesseg.Flashscore