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Michelle Agyemang: Vom Ballkind in Wembley zur Retterin Englands bei der Frauen-EM

Englands Michelle Agyemang bejubelt einen Treffer bei der EM in der Schweiz.
Englands Michelle Agyemang bejubelt einen Treffer bei der EM in der Schweiz.SOPA Images/Profimedia
Von der Ballholerin zur Lebensversicherung der Lionesses: Michelle Agyemang verkörpert den kometenhaften Aufstieg im englischen Frauenfußball. Heute Abend könnte sie, die üblicherweise nur als Joker kommt, zur Heldin des EM-Finales werden.

Ohne Michelle Agyemang stünde England heute Abend wahrscheinlich gar nicht im EM-Finale. Doch dass sie überhaupt auf dieser Bühne steht, ist ein kleines Wunder. Es ist noch keine vier Jahre her, da rannte Michelle Agyemang mit 15 Jahren als Ballmädchen am Spielfeldrand von Wembley – staunend, ehrfürchtig, träumend.

Damals schoss Beth Mead einen Hattrick für die Lionesses, und die junge Michelle schwor sich, eines Tages selbst auf diesem Rasen zu stehen. Heute ist sie Mead nicht nur Kollegin, sondern Agyemang rettete deren Team gleich zweimal in der Nachspielzeit vor dem EM-Aus.

Geboren in Essex, aufgewachsen mit ghanaischen Wurzeln und der Arsenal-DNA, wurde Agyemang früh als Ausnahmetalent erkannt. Mit sechs trat sie der Jugendakademie der Gunners bei, mit 15 spielte sie bereits in der U21, mit 17 unterschrieb sie ihren ersten Profivertrag. Und doch verlief ihr Weg nicht linear: Eine Leihe nach Watford, später Brighton – 17 Spiele, drei Tore, keine Schlagzeilen. Bis Sarina Wiegman anrief.

Der Moment, der alles veränderte, kam im Frühling dieses Jahres. Als Agyemang wegen einer Sperre ein U19-Spiel von der Tribüne aus verfolgen musste, entschied sich Wiegman, sie zur A-Nationalmannschaft zu holen – als Ersatz für die verletzte Alessia Russo. Drei Tage später feierte sie ihr Debüt gegen Belgien. Ihr zweiter Ballkontakt: ein akrobatischer Volleyschuss, Tor.

Ein Versprechen war eingelöst. Und ein Plan war geboren: Michelle Agyemang sollte Englands Geheimwaffe für die Europameisterschaft 2025 werden.

Agyemang als englischer Super-Sub

Obwohl sie in der Vorrunde kaum Spielzeit erhielt, wurde die 19-Jährige in der K.o.-Phase zur Lebensversicherung der Lionesses: Im Viertelfinale erzielte sie gegen Schweden den Ausgleich, im Halbfinale gegen Italien rettete sie England mit einem Last-Minute-Treffer in die Verlängerung. „Sie bringt etwas Besonderes mit“, schwärmt Wiegman. „Sie ist sehr reif für ihr Alter – und unfassbar fokussiert.

Der Spitzname "Super-Sub" kommt nicht von ungefähr. Agyemang verkörpert eine Rolle, die im modernen Fußball oft unterschätzt wird: die des Jokers, der das Spiel dreht, wenn die Uhr gegen einen läuft. Dabei ist sie mehr als eine Einwechselspielerin – sie ist mittlerweile Symbolfigur für Hoffnung und Unberechenbarkeit im englischen Spiel.

Teamkollegin Lucy Bronze erinnert sich noch an Agyemangs erstes Training mit der A-Mannschaft: „Ich wusste sofort, dass sie für diese Gruppe bestimmt ist.“ Und Chloe Kelly, Matchwinnerin im Halbfinale, brachte es auf den Punkt: „Mich hat das Spiel verändert. Sie gibt uns Selbstvertrauen.

Trotz dieser Leistungen bleibt sie vorerst auf der Bank – Wiegman setzt auf das Überraschungsmoment, das Agyemang so gefährlich macht. „Sie fühlt sich in dieser Rolle wohl“, sagt die Trainerin. Und doch steht über allem eine große Frage: Wie lange lässt sich eine Spielerin mit diesem Impact noch auf der Bank halten?

Vor dem Finale gegen Spanien spricht die Statistik eine klare Sprache: Zwei Jokereinsätze, zwei späte Tore, eine ganze Nation in Aufruhr. Und die Hoffnung, dass es vielleicht ein drittes Mal klappt. 

Zum Match-Center: England vs. Spanien