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FlashFocus: Trotz Last-Minute-Schock um Europa - Straßburg will Farmteam-Ruf loswerden

Die Spieler von Straßburg feiern ihren Sieg gegen Lille am 25. Januar 2025
Die Spieler von Straßburg feiern ihren Sieg gegen Lille am 25. Januar 2025SEBASTIEN BOZON / AFP
Sie war die Mannschaft der Stunde im Saisonschlussspurt des französischen Oberhauses. Eine Mannschaft, die niemand im Kampf um die europäischen Plätze auf der Rechnung hatte, die zum Abschluss der Ligue 1 aber nur aufgrund eines Elfmeters in der letzten Minute der Nachspielzeit des letzten Spieltags den sechsten Platz der Tabelle, der für die Conference League qualifiziert hätte, verpasste. Unser FlashFocus beschäftigt sich in dieser Woche mit Racing Straßburg.

Tatsächlich ging es für den Klub vor dem abschließenden Spieltag der französischen Liga sogar noch um einen Platz in der Champions League. Da Nizza, Lille und Lyon jedoch gewannen, und man selbst am 34. Spieltag der Ligue 1 nach eine Strafstoß in der letzten Minute gegen sich mit 2:3 gegen Le Harve unterlag, wurde Straßburg am Ende dann doch "nur" Siebter. Ein historischer siebter Rang, der eine deutliche Steigerung zum 13. Platz der Vorsaison oder dem 15. im Jahr 2022/23 darstellt.

Das Geschäftsjahr 2024/25 war das Jahr zwei seit dem Einstieg von BlueCo in das Straßburger Kapital. Das von Todd Boehly geführte Konsortium, das nach der Übernahme von Roman Abramowitsch auch Eigentümer von Chelsea ist, stellt somit den Anfang eines Timesharing-Projekts dar. Ein Aktionärswechsel wurde als notwendig erachtet, um "einen Schritt nach vorne zu machen", wie Marc Keller, der trotz der Übernahme immer noch Präsident des RCSA war, damals meinte. Seitdem gibt Straßburg das neu gewonnene Geld vor allem für junge, vielversprechende Spieler aus ganz Europa aus. Mit einer Sportpolitik, die der seines großen Bruders Chelsea in nichts nachsteht.

Eine völlig durcheinander geworfene Gruppe

Die vier größten Transfers der Vereinsgeschichte fanden seit der Ankunft von BlueCo statt: Abakar Sylla, Emanuel Emegha, Sekou Mara und Sebastian Nanasi), während auch 13 der 15 teuersten Neuzugänge des Vereins in den letzten beiden Spielzeiten getätigt wurden. Heute verfügt "Strasbourg" über einen Kader mit einem Durchschnittsalter von 22,1 Jahren - und völlig kosmopolitischen Charakter: 15 verschiedene Nationalitäten sind in der Kabine vertreten.

Eine Mischung, die von Chelsea orchestriert wurde, das unter anderem Torwart Djordje Petrovic und seinen Mittelfeldspieler Andrey Santos, dem es in der britischen Hauptstadt an Spielzeit mangelte, an den Verein ausgeliehen hat. Auch Diego Moreira, der bei den Blues ausgebildet wurde, landete im Sommer im Elsass, diesmal als fester Transfer. Nach dem Scheitern von Patrick Viera in der letzten Saison ging Chelsea in diesem Sommer bei der Anglisierung der Straßburger Kabine noch einen Schritt weiter und ernannte den 40-jährigen Liam Rosenior als Trainer, der zuvor für Brighton und Hull City gearbeitet hatte.

Liam Rosenior als neuer Anführer

Dem Engländer gelang es rasch, seinen offensiven Spielstil durchzusetzen und eine Armada von jungen, talentierten Spielern um sich zu scharen, die ihre Ambitionen zum Ende der Saison nach oben korrigieren konnten. "Ich erinnere mich zurück, als ich nach Frankreich kam. Die Leute lachten. Sie sagten, dass sie nicht wussten, wer ich bin. Das motiviert einen, es gut zu machen. Die Arbeit ist noch nicht vollendet. Es liegen noch schöne Dinge vor uns", versicherte der Trainer bei seiner Verlängerung bis 2028.

Seine Spielphilosophie setzt vor allem auf intensives Pressing: "Als ich ankam, hat sich die Intensität im Training wirklich verändert und das nutzt jetzt jedem, um fit genug zu sein, um die Distanz mit hoher Intensität zu überbrücken", so Rosenior in einem Interview mit der AFP. Das Ergebnis? Seit dem 9. Februar hat Straßburg nur ein Spiel verloren.

Die Stärke der Youngsters

Doch die Intensität im Training ist nicht die einzige Neuerung. Nach jedem Sieg begeistert das Team Fans und soziale Medien mit einem Ritual: einem Kreistanz in der Mitte der Umkleidekabine, dessen Schritte oft in der Woche zwischen den Trainingseinheiten einstudiert werden. Die Lebensfreude des Straßburger Teams ist ansteckend - und zeigt, dass Fußball zwar ein Beruf ist, aber eben auch Leidenschaft. Rosenior beschwichtigt unterdessen, dass seine Spieler zwar für jeden Spaß zu haben sind, aber auch wissen, wann es notwendig ist, sich zu konzentrieren und fokussiert zu arbeiten.

Der Coach spricht darüber hinaus von einer "natürlichen Verbindung" zwischen seinen jungen Spielern, die das erwünschte Pressing von Nummer eins bis elf begünstigt. "Diese Jugend ist eine Stärke", versicherte auch Mittelfeldspieler Felix Lemarechal gegenüber AFP: "Wir laufen mehr, wir kommunizieren ehrlich. Mit Spielern, die alle im gleichen Alter sind, kann man die Dinge offen ansprechen. Wir haben alle die gleiche Art zu interagieren". 

Müssen die Stars zurück zum Mutterverein?

Nicht umsonst ist der RCSA die Mannschaft der Ligue 1, die die meisten Kilometer zurückgelegt hat. Inmitten des sehr athletischen Kollektivs haben sich dennoch einige Leistungsträger herauskristallisiert. Da wäre zum einen Emanuel Emegha, ein niederländischer Torjäger, der 2023 in die Liga kam und in dieser Saison eine wahre Leistungsexplosion erlebt (14 erzielte Tore, fünftbester Torschütze der Liga).

Auch Andrey Santos, ein von Chelsea ausgeliehener brasilianischer Mittelfeldspieler, wusste neben unzähligen Tacklings und Balleroberungen mit neun Toren und drei Assists zu überzeugen. "Er ist mein Rodri. (...) Seine technische Fähigkeit, die Linien zu durchbrechen und die richtigen Entscheidungen mit dem Ball zu treffen, ist eines erfahrenen Spielers würdig. Er ist seinem Alter weit voraus", lobte der Coach.

Daneben haben Flügelspieler Dilane Bakwa, der 2023 für 10 Millionen Euro aus Bordeaux geholt wurde, und Sebastian Nanasi, der in der aktuellen Saison fünf Tore Toren und vier Vorlagen beisteuert, Begehrlichkeiten bei größeren Vereinen erweckt - allem voran natürlich beim "großen Bruder" aus Chelsea, der im Elsass allerdings überhaupt keinen guten Ruf genießt. Vor allem bei den Fans.

Sportlicher Erfolg versus Fan-Streik

Diese monieren nämlich, dass ihr Klub zum Farmverein von Chelsea mutiert, weg von der starken Tradition des RCSA in der Vergangenheit. Aus Protest gegen dieses von BlueCo auferlegte Modell streiken die Ultra Boys 90 trotz der guten Ergebnisse auch zum Ende der Saison in den ersten 15 Minuten eines jeden Spiels.

Identitätskrise? Ende Januar forderte Kapitän Habib Diarra nach einem Sieg gegen Lille, dass die Mannschaft bei jedem Spiel "von Anfang bis Ende" unterstützt werden sollte. Eine Rede, die die Tribünen der Meinau spaltete, da ein gewisser Teil der elsässischen Fans den Streik der Ultra Boys 90 als zu extrem empfindet. Der Verein wird seinen Weg in der kommenden Saison 2025/26 weitergehen - und womöglich wird ein weiteres sportlich erfolgreiches Jahr auch die extremen Fans vom Konzept zu überzeugen.