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EXKLUSIV - Vancouver-Trainer Michaelsen über Müller-Deal: "Nach wie vor in Topform"

Jan Michaelsen leitet eine Trainingseinheit bei den Vancouver Whitecaps
Jan Michaelsen leitet eine Trainingseinheit bei den Vancouver WhitecapsVancouver Whitecaps
Nachdem er sich um die Jahrhundertwende bei Panathinaikos und in der dänischen Nationalmannschaft als hervorragender Mittelfeldspieler etabliert hatte, startete Jan Michaelsen zur gleichen Zeit wie sein alter Teamkollege Jesper Sorensen eine Trainerkarriere. Michaelsen verließ Anderlecht im Januar als Assistenztrainer, um sich mit Sorensen in Vancouver zusammenzutun. Seitdem haben die beiden die Whitecaps zu einer der größten Überraschungsmannschaften der MLS gemacht.

Im Interview mit Flashscore spricht Michaelsen über die strukturellen Unterschiede zwischen der MLS und dem europäischen Fußball, die turbulenten Entwicklungen bei RSC Anderlecht, die steigende internationale Anerkennung dänischer Trainer – und über den spektakulären Wechsel von Thomas Müller zu den Vancouver Whitecaps.

Herr Michaelsen, wie kam Ihr Wechsel nach Vancouver zustande?

"Ich war zuvor in Anderlecht tätig, nachdem Brian Riemer mich gebeten hatte, ihn nach Brüssel zu begleiten. Es sah zunächst gut aus: Wir standen solide in der Liga und hatten uns für die Europa League qualifiziert. Dann wurde Brian völlig überraschend entlassen. Kurz darauf wurde er zum neuen Cheftrainer der dänischen Nationalmannschaft ernannt. Meine eigene Situation war zu diesem Zeitpunkt unklar – bis Jesper Fredberg mich kontaktierte und nach Vancouver einlud."

"Anfangs war ich unsicher, vor allem wegen meiner Familie. Aber wir haben intensiv darüber gesprochen und schließlich eine Lösung gefunden. Ich bin dann zum Trainingslager nach Spanien gereist, wo das Team gerade war – und ich habe die Entscheidung in keiner Sekunde bereut. Vancouver ist ein großartiger Klub mit fantastischen Menschen. Ich bin wirklich froh, hier zu sein."

Wie bewerten Sie die Entlassungen von Brian Riemer und Jesper Fredberg in Anderlecht?

"Brian hat sehr hart gearbeitet und hatte ein sehr gutes Verhältnis zur Mannschaft. Viele Spieler waren von seiner Entlassung überrascht – das weiß ich aus erster Hand. Anderlecht ist allerdings ein großer Klub, der seit Jahren keinen Titel mehr geholt hat. Der Druck auf die Verantwortlichen ist enorm."

"Nach der Niederlage gegen Genk war die Stimmung angespannt. Vielleicht wurde die Entscheidung, sich von Brian zu trennen, in einem Moment der Emotion getroffen. Letztlich hat sich dadurch aber nicht viel verändert."

"Dass auch Jesper gehen musste, hat mich weniger überrascht. Es gab Unstimmigkeiten mit dem Vorstand über die strategische Ausrichtung. Aber die Trennung von Brian war wirklich ein Schock für alle."

Warum funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Jesper Fredberg so gut?

"Jesper und ich kennen uns schon sehr lange – wir haben in den 1990er-Jahren gemeinsam beim Akademisk Boldklub in Kopenhagen gespielt. Schon damals haben wir gemerkt, dass wir denselben Sinn für Humor teilen und die Chemie zwischen uns einfach stimmt."

"Ich war anschließend acht Jahre im Ausland, aber als ich zurück nach Dänemark kam, begannen wir zur gleichen Zeit die Ausbildung zum Elitetrainer. Seitdem haben wir regelmäßig telefoniert, uns oft mehrmals pro Woche ausgetauscht und Ideen diskutiert."

"Wir ergänzen uns sehr gut, aber vor allem geben wir uns gegenseitig den Freiraum, den es braucht, um einander auch herauszufordern. Wir stellen uns bewusst die Frage: Können wir Dinge auch anders angehen? Es ist entscheidend, dass der Cheftrainer nicht nur Zustimmung bekommt, sondern auch alternative Perspektiven – nicht völlig abwegige Ideen, aber neue Impulse innerhalb des gemeinsamen Rahmens."

"Im Mai gelang Ihnen ein beeindruckender Sieg im Halbfinale des CONCACAF Champions Cups gegen Inter Miami mit Superstar Lionel Messi. Was war das für ein Erlebnis?"

"Das war definitiv ein Highlight für uns alle. Eine Mannschaft auf ein Spiel gegen Messi vorzubereiten – das macht man nicht jeden Tag. Messi ist natürlich der König, aber auch Spieler wie Jordi Alba, Sergio Busquets oder Luis Suárez standen auf dem Platz. Eine unglaubliche Ansammlung an Qualität."

"Für uns war klar, dass wir taktisch kompakt bleiben und ihnen konditionell alles abverlangen müssen. Ziel war es, sie mit viel Laufarbeit müde zu machen – und das ist uns gelungen."

"Das Heimspiel war restlos ausverkauft – ein magischer Abend. Wir erzielten das entscheidende Tor kurz vor Schluss. Beide Partien zählen für mich zu den größten Spielen meiner Karriere. Die Leistung unserer Mannschaft – körperlich, mental und taktisch – war außergewöhnlich."

Wie kam der Transfer von Thomas Müller zustande, und waren Sie in den Entscheidungsprozess eingebunden?

"Die Gespräche mit Thomas wurden in erster Linie von unserem Geschäftsführer Axel Schuster, von Jesper Fredberg und unserem Technischen Direktor Quinn Thompson geführt. Natürlich haben wir im Trainerteam gehofft, dass der Transfer klappt – und waren sehr gespannt."

"Thomas bringt Qualitäten mit, die jeder Mannschaft guttun: seine enorme Erfahrung, seine Spielintelligenz, seine Führungsstärke – und auch körperlich ist er nach wie vor in Topform."

"Jesper hat es ausgezeichnet verstanden, ihm zu vermitteln, was ihn hier erwartet und welche Rolle er übernehmen würde. Das war sicherlich ein entscheidender Faktor dafür, dass der Wechsel letztlich zustande kam."

Wie bedeutsam ist dieser Transfer für die Whitecaps – sportlich wie symbolisch?

"Man muss sich nur seinen Lebenslauf ansehen: Es gibt kaum einen Spieler, der in seiner Karriere mehr erreicht hat als Thomas Müller. Wir haben in der Vergangenheit schon einige große Namen in der Liga gesehen – Didier Drogba, Alessandro Nesta – und nun kommt Müller zu uns."

"Während Heung-min Son zu LA Galaxy gewechselt ist, konnten wir Müller für Vancouver gewinnen. Das zeigt, wie attraktiv die MLS inzwischen für internationale Topstars geworden ist. Sein Name spricht für sich."

Thomas Frank hat die Tür für dänische Trainer geöffnet
Thomas Frank hat die Tür für dänische Trainer geöffnetNews Images, News Images LTD / Alamy / Profimedia

Derzeit sind auffallend viele dänische Trainer in internationalen Spitzenpositionen tätig. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

"Ein Schlüsselfaktor ist sicherlich die Arbeit von Thomas Frank – und zuvor auch Morten Olsen –, die beiden haben hervorragende Arbeit geleistet und damit vielen von uns den Weg geebnet. Trainer wie Niels Frederiksen, Bo Henriksen oder Brian Priske haben diese Entwicklung fortgeführt und bewiesen, dass dänische Trainer international konkurrenzfähig sind."

"Auch wenn viele dänische Trainer aktuell im Ausland als Assistenztrainer arbeiten, bekommen sie natürlich nicht dieselbe Aufmerksamkeit wie die Cheftrainer."

"Zudem haben wir in Dänemark ein sehr gutes Ausbildungssystem. Da wir oft nicht mit den individuell besten Spielern arbeiten, sind wir gezwungen, taktisch kluge Lösungen zu entwickeln, um als Mannschaft erfolgreich zu sein. Gleichzeitig sehen wir den Menschen hinter dem Spieler – das hilft uns, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich Spieler sowohl sportlich als auch persönlich weiterentwickeln können."

Im europäischen Fußball klafft die Schere zwischen finanzstarken und finanzschwachen Vereinen immer weiter auseinander. In der MLS gelten hingegen klare Gehaltsgrenzen. Welches System bevorzugen Sie?

"In der Major League Soccer gibt es das Prinzip der 'weichen Gehaltsobergrenze'. Das bedeutet: Es gibt eine klare Grenze, wie viel ein Klub insgesamt für Spielergehälter ausgeben darf. Man kann also nicht einfach der reichste Verein sein und sich beliebig viele Stars kaufen – wie es in Europa oft der Fall ist. Und genau das schätze ich an der MLS."

"In vielen europäischen Ligen steht schon vor der Saison fest, welche zwei oder drei Teams ganz oben landen werden – einfach, weil sie finanziell so weit voraus sind. Diese Vereine können sich auf dem Transfermarkt zahlreiche Fehlgriffe leisten, ohne dass es ihnen langfristig schadet."

"Auch in der dänischen Superliga gibt es große finanzielle Unterschiede. Der FC Kopenhagen oder der FC Midtjylland verfügen über deutlich größere Budgets als der Rest der Liga. In der MLS dagegen müssen sich alle an dieselben finanziellen Rahmenbedingungen halten – das macht die Liga nicht nur spannender, sondern auch gerechter. Und das gefällt mir sehr."

Wie würden Sie den Spielstil in der Major League Soccer beschreiben?

„Die Spiele in der MLS sind in der Regel offener als in Europa. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass es keine Abstiegsregelung gibt – das nimmt den Teams etwas vom Druck und führt zu mehr Offensivaktionen und häufig auch zu mehr Toren. In manchen Partien geht dadurch allerdings die taktische Struktur ein wenig verloren.

Bei 30 Mannschaften ist die Leistungsdichte natürlich sehr unterschiedlich. Die Top-Teams in der Western Conference können es vom Niveau her durchaus mit starken europäischen Mannschaften aufnehmen.

Es gibt viele technisch starke Einzelspieler, doch durch den ausgeprägten Offensivdrang geht mitunter das kollektive Spielverständnis etwas verloren. Es herrscht hier eine Mentalität vor, bei der Unterhaltung oberste Priorität hat – und das spiegelt sich auch auf dem Platz wider.“

Wie unterscheidet sich das Fanerlebnis in der MLS von dem in Europa?

"Das Erlebnis im Stadion ist ein ganz anderes. In Europa prägen Choreografien, Spruchbänder und Gesänge der Fans die Atmosphäre – das ist tief in der Fußballkultur verankert. In Nordamerika hingegen geht es stärker um das Event an sich."

"Hier gehört die Nationalhymne vor dem Anpfiff genauso dazu wie Feuerwerk, Unterhaltungssequenzen auf dem Jumbotron oder Werbepausen mitten im Spiel. Das heißt nicht, dass die Fans nicht leidenschaftlich sind – sie zeigen ihre Begeisterung nur auf eine andere Art."

"Konflikte zwischen Heim- und Auswärtsfans, wie man sie in Europa kennt, gibt es so gut wie gar nicht. Das liegt auch daran, dass die Entfernungen in Nordamerika enorm sind und viele Fans daher gar nicht auswärts mitreisen können. Insgesamt ist die Stimmung sehr positiv und familienfreundlich – aber eben anders."

Vancouvers kommende Spiele
Vancouvers kommende SpieleFlashscore

Die Vancouver Whitecaps sind derzeit Dritter in der Western Conference hinter dem San Diego FC und Minnesota United, haben aber ein Spiel mehr absolviert. Das nächste Spiel findet am Wochenende gegen St. Louis City statt.

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