Nicht Pirlos Nachfolger
Beim AC Milan, so lautete ursprünglich der Plan, sollte Sandro Tonali das Erbe des wohl elegantesten italienischen Mittelfeldspielers des 21. Jahrhunderts antreten: Andrea Pirlo.
Er teilte sich mit dem Maestro die Frisur, die Position, die erste Karrierestation. Wie Pirlo begann Tonali seine Profikarriere bei Brescia Calcio. Doch auf dem Spielfeld sorgt Tonali für andere Akzente als der Weltmeister von 2006. Tonali ist kein tiefliegender Spielmacher, kein einsamer Ballverteiler.
Im Gegensatz zu Pirlo ist Tonali ein sehr laufstarker Spieler. In der Defensive sorgt er nicht etwa durch abgefangene Bälle für Furore. Bei Milan gab er das Kommando für kollektives Pressing und provozierte dadurch eher indirekt Ballverluste beim jeweiligen Gegner.
Howe braucht einen Taktgeber
Dass Newcastle United bereit war, den 23-Jährigen durch eine Ablöse von 64 Millionen Euro zum teuersten italienischen Spieler der Fußballhistorie zu machen, steht in direktem Zusammenhang mit ebendieser Qualität.
Trainer Eddie Howe hat seinen nominellen Sechser in Bruno Guimaraes längst gefunden. Tonalis Stammplatz wird eine Etappe weiter vorn liegen, auf der Acht. Dort soll er gegen den Ball aggressiv und mit Ball umsichtig agieren. Ähnlich wie Joelinton, Joe Willock oder Sean Longstaff es in jüngster Vergangenheit bereits getan haben, wird Tonali in erster Linie dafür verantwortlich sein, das runde Leder ins Angriffsdrittel zu tragen oder zu passen.
Dass der Newcastle-Manager seine zentralen Mittelfeldspieler gerne dazu auffordert, die Positionen der Flügelspieler einzunehmen, um in der Zentrale Raum für erwähnten Guimaraes zu schaffen, sollte für den dynamischen Italiener kein Problem darstellen.
Tonali besitzt die Fähigkeit, den tödlichen letzten Pass an den Mann zu bringen. Was die zu erwartenden Assists betraf, gehörte er in der abgelaufenen Saison zu den besten 10 Prozent innerhalb der Serie A. Mit Diagonalpässen aus dem Mittelfeld, Flanken aus der Tiefe oder eigene Dribblings reißt er regelmäßig Lücken in den gegnerischen Abwehrverbund.
Anpassung an die Premier League
Es bleibt abzuwarten, ob sich der junge Tonali sofort an das Niveau der Premier League anpassen kann. Gilt in Italien taktische Disziplin als oberstes Gebot, stehen in der Premier League Physis und Körperlichkeit an oberster Stelle.
Dass Tonali allein in der abgelaufenen Saison 1.122 Minuten Champions-League-Erfahrung sammelte, deutet aber darauf hin, dass er für die gesteigerten Ansprüche gewappnet sein dürfte.
Wenngleich Italiener auf der Insel nicht immer Fuß fassen konnten – Tonalis Preisschild garantiert ihm, dass Newcastle alles daran setzen wird, ihn möglichst effektiv in das taktische System und die Mannschaft zu integrieren.