Wenn die Berichte stimmen, steht der FC Chelsea kurz vor der Verpflichtung von Jorrel Hato, dem erst 19-jährigen Abwehrjuwel von Ajax Amsterdam. Rund 46 Millionen Euro soll der Linksfuß kosten – eine weitere bedeutende Investition in einen Kader, der bereits vor Talenten strotzt.
Hato, der in der Eredivisie mit über 100 Einsätzen bereits als erfahrener Stammspieler gilt, würde auf der linken Seite voraussichtlich mit Marc Cucurella konkurrieren – oder diesen entlasten. Letzterer war in der abgelaufenen Saison Chelseas Dauerläufer schlechthin mit 54 Spielen und über 4300 Einsatzminuten. Der technisch versierte Niederländer glänzt nicht nur mit überragenden Passwerten (90,3 % Erfolgsquote), sondern auch mit einer bemerkenswerten Reife: Mit nur 17 Jahren wurde er Ajax-Kapitän.
Kritiker fragen sich, ob Chelsea überhaupt Bedarf für einen weiteren Verteidiger hat. Immerhin verfügt Trainer Enzo Maresca mit Reece James, Wesley Fofana, Levi Colwill, Neuzugang Tosin Adarabioyo und Chalobah (dessen Abgang aber erwartet wird) bereits über eine tief besetzte Defensive. Der Fall Hato wirft also eine zentrale Frage auf: Investiert Chelsea aus Notwendigkeit – oder aus Prinzip?
Die neue DNA der Blues: jung, teuer, langfristig
Die Antwort darauf liefert ein Blick in die Philosophie des neuen Besitzertums unter Todd Boehly und Clearlake Capital. Seit der Übernahme 2022 haben die neuen Entscheider das Transferverhalten des Vereins grundlegend verändert. Altstars aus der Abramovich-Ära wurden verkauft, Gehaltskosten radikal gesenkt – und das frei gewordene Kapital in junge Talente reinvestiert.
Der strategische Dreh- und Angelpunkt: langfristige Verträge und niedrige Gehälter. Spieler wie Moisés Caicedo (115 Mio. Pfund Ablöse, aber „nur“ 180.000 Pfund Wochengehalt) oder Mykhailo Mudryk (89 Mio. Pfund Ablöse, 97.000 Pfund Gehalt) sind Prototypen dieses Modells. Die Transferkosten werden über bis zu neun Jahre verteilt – buchhalterisch eine Methode, um finanzielle Stabilität vorzugaukeln und gleichzeitig PSR-konform zu bleiben.
Dabei gleicht Chelseas Transferpolitik immer mehr einem Hochrisiko-Portfolio. Talente wie Cesare Casadei oder Carney Chukwuemeka konnten sich bisher nicht durchsetzen, während andere wie Cole Palmer auf Anhieb Leistungsträger wurden. Doch der Erfolg ist ungleich verteilt – und das Gedränge im Kader sorgt zunehmend für Unzufriedenheit. Spieler, die keine Einsatzzeiten sehen, werden verliehen oder frühzeitig abgestoßen. Der Klub scheint dabei bereit, Verluste hinzunehmen, solange die Hoffnung auf den „nächsten Cole Palmer“ besteht.
Bilanzieller Balanceakt auf dem Drahtseil
Dass Chelsea trotz Ausgaben von fast 290 Millionen Euro in diesem Sommer (Hato eingerechnet) bislang nicht gegen die PSR-Vorgaben der Premier League verstoßen hat, ist ein Resultat kreativer Buchhaltung: der Verkauf von Klubhotels an verbundene Unternehmen, strategische Tauschgeschäfte (z. B. Maatsen/Kellyman) und hohe Einnahmen durch Turniere wie die Klub-Weltmeisterschaft (geschätzte 50 Mio. Pfund).
Doch selbst Experten wie Kieron O'Connor vom Blog „Swiss Ramble“ sehen das Modell kritisch: „Die Frage ist nicht, ob Chelsea heute die Regeln einhält, sondern ob sie das langfristig durchhalten können – vor allem mit Blick auf die strengeren UEFA-Regularien.“
Chelsea glaubt an sein Modell: junge Talente, niedrige Gehälter, langfristige Bindung, kluges Asset-Management. Doch die Risiken liegen offen: Was, wenn Spieler wie Palmer unzufrieden werden und nicht aus ihren Mammutverträgen herauskommen? Was, wenn Talente stagnieren und keinen Marktwert entwickeln?
Jorrel Hato bringt alles mit, um ein Erfolg zu werden – aber auch er ist Teil eines Systems, das auf ständiges Wachstum und Optimismus setzt. Sollte die sportliche Entwicklung stagnieren, könnte Chelsea in ein paar Jahren mit einem überfüllten, überbewerteten und unausgewogenen Kader dastehen – und dann werden selbst 46 Millionen Euro für ein Supertalent wie Hato nicht mehr wie eine Investition, sondern wie ein Millionengrab wirken.