Noch vor zwei Jahren war der damalige Al-Suqoor Club nicht mehr als ein ambitionierter Drittligist im saudischen Fußball. Heute firmiert der Verein unter dem Namen NEOM SC, residiert in der Saudi Pro League – und verkörpert wie kein zweiter Verein die Widersprüche der neuen saudischen Sportstrategie. Möglich machte diesen rasanten Aufstieg ein Wandel, der weit über den Fußball hinausgeht: die Umwandlung des Vereins in eine Tochter des milliardenschweren NEOM-Projekts, Herzstück der saudischen Vision 2030.
Im Juni 2023 wurde aus Al-Suqoor ein Unternehmen im Besitz von NEOM, der futuristischen Planstadt am Roten Meer. Im Dezember desselben Jahres folgte die offizielle Umbenennung in NEOM Sports Club. Binnen zwei Jahren gelang der Durchmarsch von der dritten Liga in die oberste Spielklasse. Der Motor hinter diesem Höhenflug: nahezu unbegrenzte finanzielle Mittel.
Ziel: Klub-WM 2029
Seit der Übernahme wurden mehr als 43 Millionen Euro in neue Spieler investiert – mit Blick in die Zukunft dürfte das aber eher die Ruhe vor dem Sturm gewesen sein. Neben Stars wie Alexandre Lacazette (ablösefrei von Olympique Lyon), Marcin Bulka (15 Mio. von Nizza) und Saïd Benrahma (12 Mio. von Lyon) verpflichtete der Klub zuletzt Christophe Galtier, Ex-Trainer von Paris Saint-Germain. Auch Transfers von internationalen Namen wie João Félix oder Granit Xhaka standen im Raum. Der Plan ist groß: NEOM SC will nicht nur Meister werden, sondern mittelfristig an der Klub-WM 2029 teilnehmen.
Der sportliche Höhenflug ist nur ein kleiner Teil eines viel größeren Puzzles. NEOM ist ein milliardenschweres Zukunftsprojekt auf 26.500 Quadratkilometern. Im Zentrum steht die 170 Kilometer lange Linearstadt „The Line“, in der bis zu neun Millionen Menschen leben sollen. Die Architektur erinnert an eine dystopische Zukunftsvision mit vertikalen Stadtmodulen, schwebenden Verkehrssystemen und künstlicher Intelligenz im Alltag. Die geschätzten Baukosten: inzwischen bis zu 9 Billionen US-Dollar.
Doch diese Vision hat ihren Preis: Laut Recherchen britischer und internationaler Medien verloren mehr als 21.000 Bauarbeiter – viele von ihnen aus Bangladesch, Nepal und Indien – ihr Leben während der Arbeiten an der Megastadt. Menschenrechtsorganisationen prangern systematische Missstände an: Zwangsräumungen, 16-Stunden-Schichten ohne Ruhepausen und Berichte über Drohungen und Gewalt gegen indigene Huwaitat-Stämme, die sich der Enteignung widersetzten. Die saudische Regierung weist die Vorwürfe zurück und verweist auf vergleichsweise niedrige offizielle Todeszahlen.
NEOM: WM 2034 und „Stadion der Zukunft“
Ein sportliches wie politisches Highlight des NEOM-Projekts ist das geplante WM-Stadion für die Fußball-Weltmeisterschaft 2034, die nach Saudi-Arabien vergeben wurde. Das Stadion soll auf einem 350 Meter hohen Berg erbaut werden – mit Hightech-Ausstattung, einem Dach, das direkt aus der futuristischen Stadtstruktur wächst, und Platz für 46.010 Zuschauer. Es wird ein Viertelfinal-Spielort sein und später zur Heimstätte des NEOM SC werden.
Der Baubeginn ist für 2027 geplant, die Fertigstellung für 2032. Kronprinz Mohammed bin Salman nennt das Stadion ein „Schaufenster für ein sich wandelndes Land“ – doch internationale Kritik an den sozialen und ökologischen Kosten wird lauter. Die Menschenrechtsorganisation ALQST warnt vor den Auswirkungen weiterer Zwangsräumungen. Bereits jetzt sind mehr als eine halbe Million Menschen betroffen.
Mit seinen Rekordtransfers, einem europäischen Spitzentrainer und der Verbindung zu einem der größten Infrastrukturprojekte der Menschheitsgeschichte ist NEOM SC heute ein PR-Instrument, eine Visitenkarte und ein Symbol dafür, was Saudi-Arabien mit aller Macht erreichen will: globale Aufmerksamkeit, Prestige und Einfluss – auch im Fußball.