Argentinien dominiert Kroatien fast mühelos, sechstes WM-Finale für Albiceleste
Große Überraschungen in den Startaufstellungen waren ausgeblieben. Aufseiten Argentiniens ersetzte Nicolás Tagliafico den gelbgesperrten Acuña. Ángel di María kam trotz verbesserter Fitness nicht zum Einsatz. Stattdessen setzte Cheftrainer Scaloni auf vier zentrale Mittelfeldspieler. Leandro Paredes hatte trotz schwachen Auftritts nach Einwechslung gegen die Niederlande Starterlaubnis für das Halbfinale erhalten. Paredes sollte gegen das starke kroatische Mittelfeld - die drei Namen Brozović, Modrić und Kovačić sind nicht erst seit gestern eng miteinander verknüpft - den Zerstörer mimen. Eine Aufgabe, die er zu voller Zufriedenheit erfüllen konnte.
Im kroatischen Tor durfte sich natürlich Viertelfinalheld Dominik Livaković beweisen. Die Viererkette davor bot aufmerksamen WM-Beobachtern auch nichts Neues - Abwehrchef Lovren und sein kongenialer Partner Joško Gvardiol mutierten beim bisherigen Turnier häufig zum Retter in der Not - gegen ein Argentinien in Topform wirkte das kroatische Abwehrduo jedoch phasenweise wie betäubt.
Erste Halbzeit: Ein Doppelschlag ins kroatische Herz
Beide Abwehrreihen ließen sich anfangs von den kontrolliert eingesetzten Pressingversuchen des jeweiligen Gegners nicht aus der Ruhe bringen. Ob Gvardiol einerseits oder Cristian Romero andererseits - die Innenverteidiger agierten in den Zweikämpfen souverän und achteten im Spielaufbau penibel darauf, keine unnötigen Ballverluste zu verursachen. Argentinien versuchte, die relativ hoch stehende kroatische Verteidigung mit Zuckerpässen auf die überlaufenden Außenverteidiger zu überrumpeln. Doch nicht nur Lovren und Gvardiol fanden keinen rechten Umgang mit den weiten Zuspielen hinter die Kette, auch Tagliafico und Nahuel Molina scheiterten an der Verarbeitung.
Kroatien näherte sich dem Vorhaben Torerfolg mit etwas weniger Sturm und Drang. Trainer Dalić hatte die Kontrolle über das Spielgerät allem Anschein nach zur Prämisse erhoben, der häufig am Ball aufzufindende Borna Sosa etwa scheute jede Hektik. Bei der Suche nach einer passenden Anspielstation ließ sich nicht nur der Stuttgarter viel Zeit. Andrej Kramarić verschwand zusammen mit Mario Pašalić in der Versenkung. Superstar Modrić widmete sich vorwiegend seinen defensiven Verpflichtungen.
Es benötigte zwei mutige Vorstöße von Mateo Kovačić in den Minuten 20 und 24, um beiden Teams mehr Risikobereitschaft einzubläuen. Enzo Fernández prüfte Livaković aus der Ferne, der kroatische Schlussmann verhinderte mit einem guten Reflex die Wiederholung von Fernandez’ Traumschlenzer aus dem Gruppenspiel gegen Mexiko. In der 32. Minute leistete sich der potenzielle Bayern-Neuzugang jedoch einen folgenreichen Fehler. Dejan Lovren hatte nach traumhaftem Pass in die Tiefe seine Funktion als Kettenhund von Julián Álvarez (22) vergessen. Dieser schaffte es zwar nicht, den Ball im Tor unterzubringen. Doch schindete der Jungspund im Zweikampf mit Livaković einen Strafstoß. Eine zumindest fragwürdige Entscheidung, da Livaković lediglich eine normale Torwartbewegung durchführte, und Alavarez den Schuss bereits gesetzt hatte. Lionel Messi war das natürlich egal.
Im Laufe des Turniers hatte sich Livaković den Ruf eines Elferkillers erworben - doch gegen den ebenso satten wie präzisen Elfmeter des PSG-Stars war auch er chancenlos. Zum bereits dritten Mal bei dieser WM war Kroatien in Rückstand geraten. 34 Minuten waren gespielt, Kroatien hoffte auf den Ausgleich. Doch die nächste Unaufmerksamkeit sorgte für das nächste Gegentor. Im Alleingang tankte sich Álvarez mit viel Hingabe und noch mehr Ballglück durch die gesamte kroatische Defensive. Auch Livaković hatte das Nachsehen - Argentinien ging 2:0 in Führung (39.).
Drei Minuten später war der nach anfänglicher Langeweile nunmehr schwer beschäftigte kroatische Schlussmann zur Stelle. Alexis Mac Allister kam nach einem Eckstoß zum Kopfball, Livaković fischte den Versuch gekonnt aus dem Eck. Auch Emiliano Martínez durfte kurz vor dem Pausenpfiff aktiv werden, wenngleich er gegen einen frechen, aber ungenauen Lupfer von Ivan Perišić nicht unbedingt eingreifen musste.
Zweite Halbzeit: Messi mit traumhafter Vorlage
Mislav Oršić und Nikola Vlašić sollten Kroatien neue Hoffnung verleihen. Vor einem Modrić-Freistoß in Minute 47 war im hauptsächlich mit argentinischen Fans gefüllten Lusail Iconic Stadium ein Knistern zu spüren. Die Qualitäten des kroatischen Akteurs sind hinlänglich bekannt. Martínez pflückte die Freistoßflanke souverän. Nur neun Minuten später hatte Álvarez seinen zweiten Treffer auf dem Fuß - Lovren verteidigte diesmal außerordentlich intelligent gegen den immer besser in Fahrt kommenden Man City-Stürmer. Kurz darauf scheiterte Messi aus spitzem Winkel an Livaković.
Allmählich musste auch Zlatko Dalić erkennen, dass die Albiceleste an diesem Abend nicht zu knacken wäre. Hoffnungen, Joker Bruno Petković könnte in bester Weghorst-Manier noch ein Wunder herbeiführen, mussten enttäuscht werden. Denn Scalonis Team blieb der eigenen Spielweise treu. Im Abwehrdrittel verteidigten die Südamerikaner mit Mann und Maus. Im Umschaltspiel mieden Messi und Co. jede Hast. Die vertikalen Pässe sollten keineswegs die kroatische Abwehr möglichst flott überwinden - sondern den Raum clever für Einzelaktionen der ganz großen Könner öffnen.
Zu diesen gehört Lionel Messi mit Sicherheit. In der 69. Spielminute verzauberte er die Fußballwelt wie in alten Zeiten. Körpertäuschungen, Tempowechsel und viel Übersicht - Gvardiol verknotete sich beim Dribbling des sechsfachen Weltfußballers mutmaßlich die Beine. Anschließend vollendete der Kapitän nicht selbst, sondern legte auf seinen zentral positionierten Stürmerkollegen Álvarez ab - erneut landete der Ball im Netz, die Vorentscheidung war gefallen.
Kroatien akzeptierte das eigene Schicksal. Luka Modrić ging in Minute 81 vom Platz, ohne eine echte Duftspur hinterlassen zu haben. In den entscheidenden Situationen waren die Vatreni zu unaufmerksam, um mit einem Gegner wie Argentinien an diesem Tag mitzuhalten. Eine ordentliche erste halbe Stunde genügte somit nur für das Spiel um Platz drei am Samstag. Mit dem Mut der Verzweiflung prüfte der eingewechselte Lovro Majer Torwart Martínez noch zweimal aus der Distanz - ohne Erfolg. Argentinien steht zum sechsten Mal, Lionel Messi nach 2014 zum zweiten Mal in einem WM-Finale.
Spieler des Spiels: Lionel Messi und Julián Álvarez
Sie machten aus einem guten einen erfolgreichen Auftritt: Lionel Messi und Julián Álvarez waren in den entscheidenden Momenten da und verstanden sich im Kombinationsspiel bestens. War das die Geburtsstunde eines argentinischen Traumduos?