Die Bahnhofstraße von Bruckmühl versprüht nicht ganz das Flair der Champs-Élysées, doch Florian Lipowitz genoss die neue deutsche Radsport-Euphorie am Spurt vorbei an Mangfall-Apotheke und Reformhaus Eisenhammer wie zuletzt seinen Auftritt im Schatten von Arc de Triomphe und Louis Vuitton. Beim ersten Rennen nach seiner rauschenden Tour de France erlebte Lipowitz hautnah, was er in der Heimat "angerichtet" hat - und es gefiel ihm sehr.
Sieg bei erstem Nach-Tour-Auftritt
"So langsam bekomme ich mit, was eigentlich die letzten Wochen passiert ist", sagte der 24-Jährige im oberbayerischen Städtchen dem SID: "Mich freut es, wenn so viele Leute radsportbegeistert sind und mitfiebern, vielleicht selbst aufs Rad steigen. Aus dem Grund machen wir ja auch den Sport."
Lipowitz jedenfalls macht diesen Sport so gut wie seit anderthalb Jahrzehnten kein Deutscher: Gesamtplatz drei und bester Jungprofi bei der Tour - das sind Ullrich/Klöden-Kategorien. "Ich bin einfach froh, wie es in Frankreich gelaufen ist", sagt der Ulmer. Und dementsprechend froh ist Rad-Deutschland.
Mehr als 5000 Fans waren am Freitagabend trotz Dauerregens nach Bruckmühl gepilgert und sahen, wie der Hauptdarsteller standesgemäß und planmäßig nach einhundert 600-Meter-Runden vor dem deutschen Meister Georg Zimmermann gewann. Ergebnisse aber sind bei diesen Wettbewerben, die höflich "Nach-Tour-Kriterien" und im Volksmund "Kirmesrennen" genannt werden, Nebensache. Es geht um Brauchtumspflege.
Mit etwas Abstand in die neue Wirklichkeit
"Wir haben erst nach der Tour-Rückkehr gemerkt, dass das in Deutschland eine Welle losgetreten hat. Uns freut, dass wir zum Aufschwung des Radsports beitragen konnten", sagte Ralph Denk, Teamchef von Red Bull-Bora-hansgrohe, dem SID. Natürlich wollte er seinen Star vor der Haustür präsentieren - der Marktflecken Bruckmühl liegt 20 Kilometer von der Team-Keimzelle Raubling entfernt.
Diese Beschaulichkeit war der richtige Platz für Lipowitz' Rückkehr in die neue Wirklichkeit - der Ruhm ist ihm noch nicht ganz geheuer. "Ich versuche, etwas Abstand zu dem allem zu halten", sagt der "Neo-Promi", der die Nach-Tour-Tage mit der Freundin in Paris und dann mit der Familie daheim verbracht hatte: "Ich habe mich mit dem Ganzen nicht so viel beschäftigt, war nicht so viel am Handy."
"Sanftes Rennprogramm" zum Jahresabschluss
Weil der Radsport aber ein gnadenloses Ganzjahres-Geschäft ist, muss sich Lipowitz freilich mit der weiteren Saisonplanung befassen. Die Vuelta (ab 23. August), wo er 2024 als Siebter sein Grand-Tour-Debüt feierte, ist kein Thema. Die Deutschland-Tour (ab 20. August) laut Denk schon eher, die WM in Ruanda Ende September ebenfalls.
"Ansonsten werde ich die Rennen in Kanada fahren und die Saison dann in Italien beenden, wahrscheinlich bei der Lombardei-Rundfahrt. Das wäre noch einmal ein Highlight", sagte Lipowitz, der dabei jeweils auf Tour-Champion Tadej Pogacar trifft. Denk spricht von einem "sanften Rennprogramm, wir wollen ihm die nötige Erholung geben".
Und 2026? Im Red-Bull-Team, in dem es brodelt, in dem Denk die Sportleitung um Rolf Aldag austauscht und zu dem womöglich Superstar Remco Evenepoel stößt? "Ich lasse das auf mich zukommen", sagt Lipowitz, "und genieße erstmal."