Das deutsche Tennis-Idol sitzt in einem weißen Anzug in einem Studio von Sky Italia in Mailand. Das 40. Jubiläum seines sensationellen Triumphs im Teenageralter, den bis heute niemand wiederholen konnte, feiert der ewige 17-jährige Leimener am Montag aus der Ferne. Aber kaum weniger emotional.
"Die Menschen haben mich plötzlich mit anderen Augen angeschaut, selbst meine Eltern", erzählte Becker jüngst dem Stern über seinen Triumph, der auch vier Jahrzehnte später noch nachwirkt: "Meine Eltern kannten mich siebzehneinhalb Jahre bis dahin, aber sie wussten nicht, dass ich diese Stärke in mir habe."
"Man hat mich fast erdrückt"
Es war 17.26 Uhr an jenem Sonntag, als Becker im Finale von Wimbledon den Matchball zum 6:3, 6:7, 7:6, 6:4 gegen Kevin Curren aus Südafrika verwandelte - mit einem krachenden Aufschlag. Ein historischer Moment: jüngster Wimbledonsieger, der erste ungesetzte, und sowieso der erste aus Deutschland. Zweimal wiederholte Becker den Triumph, 1986 und 1989 - vor 30 Jahren verlor er sein letztes und insgesamt siebtes Wimbledon-Finale gegen Pete Sampras.
Beckers Geburtsstunde als nationales Symbol aber war der erste Triumph. Und er hat für den heute 57-Jährigen, der im Dezember zum fünften Mal Vater wird, alles verändert. "Das ganze Land hat mich umarmt. Das war sicherlich nett gemeint, aber man hat mich fast erdrückt und mir die Luft zum Atmen genommen", sagte Becker: "Ich war immer ein freiheitsliebender Mensch, und plötzlich war diese Freiheit weg."
Für seine Gesundheit, sein Leben wäre ein erst späterer Sieg seiner Ansicht nach besser gewesen. Doch sein besonderer Coup schaffte eine besondere Verbindung zu dem Ort. Auch nach dem Ende seiner Karriere führte sein Weg immer wieder auf die geschichtsträchtige Anlage an der Church Road, bis er für ihn versperrt war. Nach seiner Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung im April 2022 und seiner Entlassung aus der Haft wegen guter Führung im darauf folgenden Dezember war ihm die Einreise verboten. Er kann sich jetzt wieder darum bewerben.
"Tiefes Tal der Tränen"
Becker wäre nicht Becker, hätte er nicht auch diese Krise in seinem so bewegten Leben durchgestanden. "Was ich beruflich und privat erlebt habe", sagte er Sports Illustrated, "das hält eigentlich keine Sau aus" - vor allem die Behandlung seines Lebens durch die Medien, ergänzte er, sei "beispiellos" gewesen. Er habe "ein tiefes Tal der Tränen" durchschritten, "aber jetzt geht es mir gut".
Becker ist als Experte geschätzt und durchaus gut beschäftigt, und ein klein bisschen Wimbledon bleibt ihm daher auch in diesem Jahr. Nur: Statt wie früher und vielleicht bald mal wieder für die BBC aus seinem Wohnzimmer zu kommentieren, ist Becker im zweiten Jahr nacheinander für Sky Italia auf Sendung. Auf Englisch, mit simultaner Übersetzung auf Italienisch. Zudem blickt er in seinem Podcast auf das Turnier, das sein Leben prägte.
Dass es ihn mit 57 Jahren noch gebe, "überrascht mich selbst", sagte er, "und ist für mich wie ein weiterer Wimbledonsieg". Das wäre dann der vierte. Der zweite jährt sich im kommenden Jahr zum 40. Mal. Womöglich wird Becker dann schon wieder durch das Tor in SW19 gehen und den Duft der Blumen riechen, den er so vermisst.