Nicht nur DFB muss seine Lektion lernen -Trainerdiskussion ohne tieferen Sinn

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Nicht nur DFB muss seine Lektion lernen -Trainerdiskussion ohne tieferen Sinn
Flick nach dem Ausscheiden in der Gruppenphase
Flick nach dem Ausscheiden in der Gruppenphase
AFP
Deutschland muss sich für das vorzeitige Aus bei der WM in Katar nicht schämen. Denn beinahe wäre auch Spanien Opfer der eigenen Überheblichkeit geworden. Stattdessen empfiehlt sich ein Wechsel der Perspektive: Viele Underdogs wissen, dass sie ihre Chancen auf den Erfolg erhöhen, wenn sie übertriebene Ehrfurcht ablegen und mutig auch eigene Spielzüge einleiten. Dass in Deutschland eine Personaldiskussion zu brodeln beginnt, erscheint zwei Jahre vor der Heim-EM müßig. Ein Kommentar zu größer werdenden Underdogs.

Fußball ist ein seltsamer Sport. Dass im Vergleich zu anderen Sportarten wenig Treffer erzielt werden, scheint Milliarden über den gesamten Globus verteilte Fans nicht weiter zu stören. 90 Minuten lang gilt der Fokus dem runden Kunststoffgebilde. Fabrizieren die 22 Akteure keine erwähnenswerten Torchancen, ignorieren Taktik-Nerds und Ballbesitzfetischisten die Ereignislosigkeit und schwatzen stattdessen von Dreiecken, Positionsspiel und Deckungsschatten. Ansonsten peinlich darum bemüht, männliche Stereotype zu erfüllen, geraten Bauarbeiter, Professoren oder Investoren angesichts der balletartigen Dribblings von Messi, Neymar oder Mbappé ins Schwärmen. 

Die Fülle an Möglichkeiten, welche durch das große Spielfeld und die verhältnismäßig einfach zu verstehenden Regeln entstehen, ist riesig. Welchen Nervenkitzel enge Entscheidungen darstellen, wissen polnische Fans ebenso gut wie deutsche. Ein Aspekt hat besonders großen Anteil an der Faszination für diesen Sport: Dass sogenannte Außenseiter immer wieder klaren wirtschaftlichen Hierarchien zum Trotz Titel einheimsen oder zumindest kurzfristig Anschluss an die Spitzenmannschaften finden.

Unbeugsame Underdogs

Leicester City konnte dank gutem Scouting und einem unwahrscheinlichen Erfolgslauf 2015/16 englischer Meister werden. Als Jürgen Klopp mit Dortmund 2011 die Bundesliga erstmalig dominierte, schockte das Phänomen Gegenpressing die Fußballwelt. Dänemark qualifizierte sich überaus kurzfristig für die EM 1992 - und gewann diese prompt. Griechenland mauerte sich 2004 ebenfalls zum EM-Titel. Der SC Freiburg war vor einigen Dekaden noch ein kleiner Dorfverein, heute heimst die Mannschaft regelmäßig Komplimente ein, man spiele wie "eine echte Spitzenmannschaft". Die gallischen Dörfer im modernen Profifußball sind zahlreich.

Die Fußballwelt - viel mehr noch die FIFA - hat großes Glück, dass auch die von Korruption, politischen Unruhen und Boykottdiskussionen überschattete WM in Katar zahlreiche moderne Märchen schreibt. Mit einem überzeugenden Defensivkonzept und klar erkennbaren Mustern im offensiven Umschaltspiel ist sowohl Australien als auch Japan der Einzug ins Achtelfinale gelungen. Marokko überzeugte mit feinem Passspiel und setzte sich noch vor den Geheimfavoriten Kroatien und Belgien an die Spitze der Gruppe F. 

Doch die Erfolge dieser Teams können aus zwei Perspektiven erzählt werden. Die Kritik an Hansi Flick und dem DFB-Team ist gigantisch, die Häme noch größer. Das nächste vorzeitige Ausscheiden bestätigt die dank einer pessimistischen Grundeinstellung zu Propheten gewordenen Fans im eigenen Land: Deutschland zählt nicht mehr zur Weltspitze, Deutschland ist für die große Bühne nicht mehr geschaffen, Deutschland ist international nur mehr eine Lachnummer. Eine teils wissentlich stark verkürzte Betrachtungsweise.

Die Leistung gegen Costa Rica war keineswegs überzeugend, doch im Endeffekt setzte man sich 4:2 durch. Ein 1:1 gegen Spanien ist kein Grund, sich zu schämen - es war lediglich die katastrophale zweite Halbzeit gegen Japan, die dem DFB-Team den Aufstieg in die nächste Runde kostete. Zwei enorm erfolgreiche Druckphasen - einmal gegen Deutschland, einmal gegen Spanien - und ansonsten eisenharte Abwehrarbeit ermöglichten dem Team von Hajime Moriyasu den überraschenden ersten Platz. 

Lektion zum richtigen Zeitpunkt?

Japan konnte die Überraschung gelingen, weil sich die beiden Mitfavoriten auf hohen Ballbesitzzeiten und einer knappen Halbzeitführung auszuruhen schienen. Von der enormen Energie, mit der Japan aus der Kabine kam, war nicht nur Flicks Elf überwältigt. Während Spanien mit einem blauen Auge davon kam und sich als Gruppenzweiter knapp für ein Weiterkommen qualifizierte, hatte Deutschland auch unwahrscheinliches Pech - so sehr das nach billiger Ausrede klingen mag. 

Der entscheidende Moment: Asano setzte sich gegen Schlotterbeck durch und erzielte Japans Siegestor gegen Deutschland
AFP

Die Lektion, welche sich europäische Spitzenmannschaften nun hinter die Ohren schreiben können, ist jedenfalls eindeutig: Ballbesitz allein genügt nicht, das Tempo muss hochgehalten werden. Kleine Nationen erstarren längst nicht in Ehrfurcht, sondern trauen sich auch gegen renommierte Fußballländer aggressives Pressing und riskante Spielzüge zu. Wer die über Jahrzehnte einstudierte Überheblichkeit nicht ablegen kann, wird eben Opfer einer Sensation. 

Wo wir schon dabei sind: Es ist zu wünschen, dass die Sensationsgier diverser Boulevard-Medien beim DFB auf kein Gehör stößt. Die altbekannten Verdächtigen wollen nicht nur Oliver Bierhoff, sondern auch Trainer Flick nach dem Aus in der Gruppenphase angezählt wissen. Wenngleich die inzwischen den Abgesang einleitenden Medien Flick nach dessen Bayern-Erfolg noch für die Trainerbank einforderten und gut vernehmbar ihre Träume publizierten, er könne ja nun auch die Nationalmannschaft zu ähnlichen Erfolgen wie dem Triple-Erfolg 2020 führen.

Klar, eine Nation mit den Ansprüchen Deutschlands kann ein Aus in der Gruppenphase nicht einfach so akzeptieren. Doch wie viel Sinn macht es, zwei Jahre vor der Heim-EM den nächsten drastischen Neuaufbau einzuleiten? Wer soll Flick oder Bierhoff nachfolgen? Deutschland hat zwar etliche große Trainer - Klopp, Tuchel, Streich - hervorgebracht, doch die meisten dürften mit Aufgaben im Vereinsbetrieb glücklicher werden. Außerdem: Bietet das ebenso unglückliche wie dämliche Ausscheiden nicht auch die Chance auf einen großen Lerneffekt? Pünktlich vor der Europameisterschaft?